Fordert der Patentanspruch die Eignung der geschützten Vorrichtung, einen bestimmten Vorgang ausführen zu können, und benennt er ein Mittel, über das diese Eignung erreicht werden soll, ist der Patentanspruch im Zweifel dahin auszulegen, dass das Mittel dazu vorgesehen ist und dementsprechend geeignet sein muss, an dem Vorgang, wenn er ausgeführt wird, in erheblicher Weise mitzuwirken.
BGH URTEIL X ZR 62/17 vom 24. September 2019 – Lenkergetriebe
EPÜ Art. 69 Abs. 1; PatG § 14
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Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 18. Mai 2017 im Kosten-punkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 21. Zivilkammer des Landgerichts München I vom 22. Juni 2016 wird im zuletzt noch anhängigen Umfang zurückgewiesen.
Die Kosten der Rechtsmittel trägt die Klägerin.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin ist eingetragene Inhaberin des am 1. August 1996 ange-meldeten, mittlerweile durch Zeitablauf erloschenen deutschen Patents 196 31 042, das eine Kaltfräse für den Fahrbahndeckenausbau betrifft. Patentanspruch 1 hat nach Durchführung eines Patentbeschränkungsverfah-rens folgenden Wortlaut:
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„Kaltfräse zum Fahrbahndeckenausbau,
– mit einem selbstfahrenden Fahrwerk, bestehend aus einer lenkbaren vorderen Fahrwerkachse (6) mit zwei mit einem Hydromotor angetriebenen Stützrädern (12) und aus zwei mit einem Hydromotor angetriebenen, höhenverstellbaren, voneinan-der unabhängigen hinteren Stützrädern (14, 16),
– mit einem im Bereich der zwei hinteren Stützräder (14, 16) auf der sogenannten Nullseite angeordneten Fahrstand (4) für einen Fahrzeugführer auf einem von dem Fahrwerk getragenen Maschinenrahmen (8),
– mit einer in oder an dem Maschinenrahmen (8) gelagerten Fräswalze (20) als Ar-beitseinrichtung (20), die am hinteren Ende des Maschinenrahmens (8) angeordnet ist und in etwa bündig mit diesem abschließt und deren eine Stirnseite (21) auf der sogenannten Nullseite (24) des Maschinenrahmens (8) in etwa bündig mit diesem abschließt,
– wobei das auf der Nullseite befindliche hintere Stützrad (16) aus einer zur Längsrich-tung des Maschinenrahmens parallelen, über die Nullseite (24) vorstehenden äuße-ren Endposition (26) in eine nach innen in eine Aussparung (18) des Maschinen-rahmens (20) eingeschwenkte innere, zur Längsrichtung des Maschinenrahmens (8) parallele Endposition (28) verschwenkbar ist, in der das Stützrad (16) nicht über die Nullseite übersteht,
– wobei sich die hinteren Stützräder (14, 16) dann, wenn das auf der Nullseite befind-liche hintere Stützrad (16) in seiner äußeren Endposition ist, auf der Höhe der sich orthogonal zur Fahrtrichtung erstreckenden Fräswalzenachse der Fräswalze (20) befinden, und
– mit einem Antriebsmotor für die für den Antrieb der Arbeitseinrichtung (20) und den Fahrbetrieb benötigte Antriebsleistung,
dadurch gekennzeichnet,
dass das schwenkbare Stützrad (16) über ein in einer horizontalen, unterhalb des Fahr-stands (4) befindlichen Ebene liegendes Lenkergetriebe (30) von der äußeren Endposi-tion (26) in die innere Endposition (28) verschwenkbar ist, wobei das Lenkergetriebe (30) mit einer Antriebseinrichtung (34) gekoppelt ist.“
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Die Beklagte zu 1, deren Geschäftsführer die Beklagten zu 2 und 3 sind, vertreibt auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Kaltfräsen mit den Bezeichnungen BM , BM und BM , welche sich hinsichtlich der Fräsbreite, nicht jedoch in ihrer konstruktiven Ausgestaltung unterscheiden. Der Verschwenkvorgang des hinteren nullseitigen Kettenlaufwerks in eine Aus-nehmung im Maschinenrahmen ergibt sich aus den nachstehenden Schema-zeichnungen.
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In Figur 5 befindet sich das hintere Stützrad in seiner äußeren Endpositi-on mit eingefahrenem Drehlagerarm. In Figur 6 ist der Drehlagerarm ausgefah-ren, aber das Stützrad weiterhin am Maschinenrahmen arretiert. In Figur 10 wird das Stützrad um die Drehachse in Richtung „c“ verschwenkt. In Figur 15 ist das Stützrad in der dafür vorgesehenen Aussparung eingeschwenkt. In Figur 16 ist der Drehlagerarm eingefahren und das Zahnrad steht nicht mehr über den Maschinenrahmen über. Eine Positionsänderung des Stützrades (wie in Figur 10 gezeigt) ist erst möglich, wenn der Drehlagerarm (wie in Figur 6 gezeigt) ausgefahren ist.
Nach Auffassung der Klägerin machen diese Kaltfräsen von der techni-schen Lehre des Klagepatents wortsinngemäß Gebrauch.
Die gegen sämtliche Beklagte auf Unterlassung, Auskunft und Rech-nungslegung, Vernichtung, Rückruf und Entfernung aus den Vertriebswegen, Erstattung vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten sowie Feststellung der Schadensersatzpflicht gerichtete Klage ist vor dem Landgericht erfolglos ge-blieben. Auf die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht, wie zuletzt beantragt, die Beklagten zur Auskunft und Rechnungslegung und die Beklagte zu 1 zusätzlich zur Vernichtung, zum Rückruf und zur Entfernung der angegrif-fenen Kaltfräsen aus den Vertriebswegen verurteilt sowie die Verpflichtung der Beklagten zur Leistung von Schadensersatz festgestellt. Den Anspruch gegen die Beklagten auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten hat es unter Abweisung der weitergehenden Klage nur teilweise zugesprochen und den Beklagten, auch hinsichtlich des nach Schutzrechtsablauf im Berufungsver-fahren übereinstimmend für erledigt erklärten Unterlassungsantrags, die Kosten des Rechtsstreits auferlegt. Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision streben die Beklagten die Wiederherstellung des klageabweisenden Urteils des Landge-richts an, die Beklagte zu 1 hilfsweise eine Wiederherstellung insoweit, als dort die Ansprüche auf Vernichtung, Rückruf und Entfernung aus den Vertriebswe-gen abgewiesen worden sind, und weiter hilfsweise eine Beschränkung der
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Verurteilung wegen dieser Ansprüche darauf, dass sie die betroffenen Kaltfrä-sen nur insoweit abändern muss, dass diese nicht mehr in den Schutzbereich von Patentanspruch 1 des Klagepatents fallen. Die Klägerin tritt dem Rechtsmit-tel entgegen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Revision der Beklagten hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückweisung der Berufung der Klägerin gegen das klageabweisende Urteil des Landgerichts im zuletzt noch anhängi-gen Umfang.
I. Das Klagepatent betrifft eine Kaltfräse zum Fahrbahndeckenausbau.
Nach den Angaben der Klagepatentschrift waren Kaltfräsen des Typs W und W aus dem Haus der Klägerin zum Abfräsen von Fahrbahn- decken vorbekannt. Diese Fräsen verfügten auf der sog. Nullseite, an der die Stirnseite der Fräswalze nahezu bündig mit der Seitenkante des Maschinen-rahmens abschließt, über einen Schwenkarm für das hintere Stützrad. Bei dem Schwenkarm seien die vertikale Hubsäule des Stützrads und die drehbar, aber ansonsten fest am Maschinenrahmen gelagerte vertikale Drehwelle über zwei horizontale, vertikal beabstandete Streben starr verbunden. Mittels des Schwenkarms könne das Stützrad von einer Position neben der Fräswalze in eine vor der Fräswalze befindliche Aussparung im Maschinenrahmen um die maschinenrahmenfeste vertikale Schwenkachse manuell oder mithilfe eines über ein Zahnrad an der Drehwelle angreifenden Antriebs verschwenkt werden (Abs. 2, 3). Bei einer anderen Fräse seien um eine vertikale Achse ver-schwenkbare Stützräder an der Fräswalze befestigt (Abs. 4). Fräsen neuerer Bauart mit Allradantrieb verfügten ebenfalls über ein um eine vertikale
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Schwenkachse verschwenkbares nullseitiges hinteres Stützrad, wodurch ein kantennahes Fräsen ermöglicht werde (Abs. 6).
Bei den letztgenannten Fräsen und denen des Typs W behinder- ten das nullseitige hintere Stützrad und seine einachsige vertikale Lagerung den freien Blick auf den Arbeitsraum vor der Fräswalze sowohl im ausge-schwenkten als auch im eingeschwenkten Zustand und benötigten zudem (ver-tikal) viel Platz. Durch den Platzbedarf sei ein Aufsetzen einer Kabine auf den Fahrstand nicht möglich. Der Auf- und Abstieg des Bedienpersonals müsse von hinten erfolgen, was nachteilig für die Sicherheit sei. Zudem ändere das Stütz-rad ohne weitere Maßnahmen beim Verschwenken seine Laufrichtung (Abs. 2, 7).
Die Klagepatentschrift bezeichnet es als Aufgabe