b) Ein die Erteilung einer Zwangslizenz für ein Arzneimittel gebietendes öffentliches Interesse kann zu bejahen sein, wenn durch nach anerkannten Grundsätzen der Biostatistik signifikan-te Ergebnisse einer klinischen Studie nachgewiesen ist, dass der Wirkstoff des Arzneimittels bei der Behandlung schwerer Erkrankungen therapeutische Eigenschaften aufweist, die für andere auf dem Markt erhältliche Mittel nicht oder nicht in demselben Maße belegt sind, ins-besondere durch die Behandlung das Risiko des Patienten gesenkt wird, infolge der Erkran-kung zu versterben, oder wenn solche überlegenen Eigenschaften auf andere Weise nach-gewiesen werden (Fortführung von BGH, Urteil vom 5. Dezember 1995 X ZR 26/92, BGHZ 131, 247 Interferon-gamma, und Urteil vom 11. Juli 2017 X ZB 2/17, BGHZ 215, 214 Raltegravir).
BGH URTEIL X ZB 2/19 vom 4. Juni 2019 – Wirkstoff Alirocumab
PatG § 24 Abs. 1
BGH, Urteil vom 4. Juni 2019 – X ZB 2/19 – Bundespatentgericht
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Die Beschwerde gegen das Urteil des 3. Senats (Nichtigkeits-senats) des Bundespatentgerichts vom 6. September 2018 wird auf Kosten der Antragstellerinnen zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Antragstellerinnen vertreiben in Deutschland das Arzneimittel Praluent, das den Wirkstoff Alirocumab enthält. Dabei handelt es sich um einen monoklonalen Antikörper, der gegen die Proproteinkonvertase Subtilisin/Kexin Typ 9 (PCSK9) gerichtet ist. Diese am Fettstoffwechsel beteiligte Serinprotease beeinträchtigt den Abbau zu hoher Spiegel von Lipoproteinen niedriger Dichte (LDL-Cholesterin LDL-C); ein überhöhter LDL-C-Wert gilt als einer der Haupt-risikofaktoren für Atherosklerose und wird üblicherweise durch die Gabe von Statinen gesenkt. Alirocumab wirkt demgegenüber als PCSK9-Hemmer und bewirkt damit (mittelbar) eine Verringerung des LDL-Cholesterinwerts im Blut.
Bei Fettstoffwechselstörungen wird zwischen primären, insbesondere durch einen erblichen Stoffwechseldefekt ausgelösten Störungen und sekundä-ren unterschieden, die durch verschiedene Krankheiten wie Diabetes mellitus oder eine Lebererkrankung verursacht werden. Praluent ist als 75 mg/ml- oder
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150 mg/ml-Injektionslösung jeweils in einer Fertigspritze oder in einem Fertig-pen (einem Werkzeug mit automatisiertem Einstechen der Injektionsnadel in das subkutane Gewebe) für die Behandlung von Erwachsenen mit primärer Hy-percholesterinämie sowie von gemischter Dyslipidämie (bei der sowohl die Cho-lesterin- als auch die Triglycerinwerte erhöht sind) zugelassen. Auf Empfehlung der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) hat die Europäische Kommission die Zulassung am 11. März 2019 auf die Behandlung von Erwachsenen mit be-stehender atherosklerotischer kardiovaskulärer Erkrankung zur Reduktion des kardiovaskulären Risikos durch Verringerung der LDL-C-Werte erweitert.
Die Antragsgegnerin ist Inhaberin des am 22. August 2008 angemelde-ten europäischen Patents 2 215 124, das antigenbindende Proteine gegen PCSK9 betrifft. Der Hinweis auf die Patenterteilung ist am 24. Februar 2016 veröffentlicht worden. Die Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamts hat das Patent mit Beschluss vom 30. November 2018 in geänderter Fassung aufrechterhalten; über die gegen diese Entscheidung eingelegten Beschwerden ist noch nicht entschieden worden.
Die Antragsgegnerin hat die Antragstellerinnen vor dem Landgericht Düsseldorf wegen Verletzung des Streitpatents u.a. auf Unterlassung in An-spruch genommen. Nachdem die Verhandlung zwischenzeitlich im Hinblick auf das anhängige Einspruchsverfahren ausgesetzt worden war, hat am 30. April 2019 ein Termin zur Fortsetzung der mündlichen Verhandlung vor dem Landge-richt stattgefunden.
Die Antragsgegnerin vertreibt unter der Bezeichnung Repatha ihrerseits ein Arzneimittel, das den ebenfalls als PCSK9-Hemmer wirkenden Antikörper Evolocumab enthält. Für sämtliche Indikationen von Praluent ist auch Repatha zugelassen.
Mit Schriftsatz vom 12. Juli 2018 haben die Antragstellerinnen Klage auf Erteilung einer Zwangslizenz am Streitpatent erhoben und zugleich beantragt, ihnen die Benutzung der geschützten Erfindung zur Behandlung von Erwach-
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senen mit primärer Hypercholesterinämie (heterozygote familiäre und nicht fa-miliäre) oder gemischter Dyslipidämie durch das Arzneimittel Praluent in den vier genannten Abgabeformen vorläufig zu gestatten.
Das Patentgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen (BPatG, Mitt. 2019, 117). Dagegen wenden sich die Antragstellerinnen mit ihrer Beschwerde, wobei sie die begehrte vorläufige Gestattung zuletzt im Hauptantrag noch auf die Benutzung der geschützten Erfindung zur Behandlung von Erwachsenen mit bestehender athero-sklerotischer kardiovaskulärer Erkrankung zur Reduktion des kardiovaskulären Risikos erweitert haben und hilfsweise beantragen, ihnen die Benutzung der Erfindung zur Behandlung mit dem Arzneimittel Praluent von Erwachsenen mit primärer (heterozygoter familiärer und nicht familiärer) Hypercholesterinämie oder gemischter Dyslipidämie oder von Erwachsenen mit bestehender athero-sklerotischer kardiovaskulärer Erkrankung zur Reduktion des kardiovaskulären Risikos vorläufig zu gestatten, die
1. trotz einer hoch-intensiven Statin-Behandlung über bis zu vier Wochen mit 40 mg oder mehr Atorvastatin täglich oder 20 mg oder mehr Rosuvastatin täglich oder der maximal verträglichen Dosis eines dieser Wirkstoffe einen LDL-C-Wert von 100 mg/dl aufweisen und/oder
2. innerhalb von vier Wochen bis zwölf Monaten vor Beginn der Behandlung mit einem PCSK9-Inhibitor wegen Myokardinfarkt oder instabiler Angina Pectoris in einem Krankenhaus behan-delt wurden und/oder
3. unter Repatha einen LDL-C-Wert unter 25 mg/dl aufweisen und/oder
4. zuvor Praluent 75 mg eingenommen haben und/oder
5. trotz Behandlung mit Repatha einen LDL-C-Wert von über 70 mg/dl aufweisen und/oder
6. eine Behandlung mit Repatha aufgrund von Nebenwirkungen nicht fortsetzen können und/oder
7. eine Behandlung mit Repatha aufgrund nicht ausreichender Senkung des LDL-C-Wertes oder aufgrund von Nebenwirkun-gen abgebrochen haben und für die eine Behandlung mit ei-nem PCSK9-Inhibitor weiterhin indiziert ist.
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Die Antragsgegnerin verteidigt das Urteil des Patentgerichts, bittet um Zurückweisung auch des Hilfsantrags und beantragt hilfsweise die Anordnung der Verpflichtung der Antragstellerin zur Rechnungslegung und zur Sicherheits-leistung.
Entscheidungsgründe:
Das R