a) In welchem Umfang und über welchen Zeitraum sich der Lizenzsucher um eine Lizenz zu angemessenen und üblichen Bedingungen bemühen muss, hängt auch von der Reaktion des Patentinhabers ab. Weiterer Bemühungen bedarf es in der Regel nicht, wenn der Pa-tentinhaber die Zustimmung zur Benutzung der Erfindung schlechthin verweigert. Hierfür reicht es jedoch nicht aus, wenn der Patentinhaber erklärt, die Vergabe einer Lizenz zwar grundsätzlich abzulehnen, unter außergewöhnlichen Umständen aber zu erwägen.
b) Ein die Erteilung einer Zwangslizenz für ein Arzneimittel gebietendes öffentliches Interesse kann zu bejahen sein, wenn durch nach anerkannten Grundsätzen der Biostatistik signifikan-te Ergebnisse einer klinischen Studie nachgewiesen ist, dass der Wirkstoff des Arzneimittels bei der Behandlung schwerer Erkrankungen therapeutische Eigenschaften aufweist, die für andere auf dem Markt erhältliche Mittel nicht oder nicht in demselben Maße belegt sind, ins-besondere durch die Behandlung das Risiko des Patienten gesenkt wird, infolge der Erkran-kung zu versterben, oder wenn solche überlegenen Eigenschaften auf andere Weise nach-gewiesen werden (Fortführung von BGH, Urteil vom 5. Dezember 1995 X ZR 26/92, BGHZ 131, 247 Interferon-gamma, und Urteil vom 11. Juli 2017 X ZB 2/17, BGHZ 215, 214 Raltegravir).

BGH URTEIL X ZB 2/19 vom 4. Juni 2019 – Wirkstoff Alirocumab

PatG § 24 Abs. 1

BGH, Urteil vom 4. Juni 2019 – X ZB 2/19 – Bundespatentgericht

Die Beschwerde gegen das Urteil des 3. Senats (Nichtigkeits-senats) des Bundespatentgerichts vom 6. September 2018 wird auf Kosten der Antragstellerinnen zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Antragstellerinnen vertreiben in Deutschland das Arzneimittel Praluent, das den Wirkstoff Alirocumab enthält. Dabei handelt es sich um einen monoklonalen Antikörper, der gegen die Proproteinkonvertase Subtilisin/Kexin Typ 9 (PCSK9) gerichtet ist. Diese am Fettstoffwechsel beteiligte Serinprotease beeinträchtigt den Abbau zu hoher Spiegel von Lipoproteinen niedriger Dichte (LDL-Cholesterin LDL-C); ein überhöhter LDL-C-Wert gilt als einer der Haupt-risikofaktoren für Atherosklerose und wird üblicherweise durch die Gabe von Statinen gesenkt. Alirocumab wirkt demgegenüber als PCSK9-Hemmer und bewirkt damit (mittelbar) eine Verringerung des LDL-Cholesterinwerts im Blut.
Bei Fettstoffwechselstörungen wird zwischen primären, insbesondere durch einen erblichen Stoffwechseldefekt ausgelösten Störungen und sekundä-ren unterschieden, die durch verschiedene Krankheiten wie Diabetes mellitus oder eine Lebererkrankung verursacht werden. Praluent ist als 75 mg/ml- oder
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150 mg/ml-Injektionslösung jeweils in einer Fertigspritze oder in einem Fertig-pen (einem Werkzeug mit automatisiertem Einstechen der Injektionsnadel in das subkutane Gewebe) für die Behandlung von Erwachsenen mit primärer Hy-percholesterinämie sowie von gemischter Dyslipidämie (bei der sowohl die Cho-lesterin- als auch die Triglycerinwerte erhöht sind) zugelassen. Auf Empfehlung der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) hat die Europäische Kommission die Zulassung am 11. März 2019 auf die Behandlung von Erwachsenen mit be-stehender atherosklerotischer kardiovaskulärer Erkrankung zur Reduktion des kardiovaskulären Risikos durch Verringerung der LDL-C-Werte erweitert.
Die Antragsgegnerin ist Inhaberin des am 22. August 2008 angemelde-ten europäischen Patents 2 215 124, das antigenbindende Proteine gegen PCSK9 betrifft. Der Hinweis auf die Patenterteilung ist am 24. Februar 2016 veröffentlicht worden. Die Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamts hat das Patent mit Beschluss vom 30. November 2018 in geänderter Fassung aufrechterhalten; über die gegen diese Entscheidung eingelegten Beschwerden ist noch nicht entschieden worden.
Die Antragsgegnerin hat die Antragstellerinnen vor dem Landgericht Düsseldorf wegen Verletzung des Streitpatents u.a. auf Unterlassung in An-spruch genommen. Nachdem die Verhandlung zwischenzeitlich im Hinblick auf das anhängige Einspruchsverfahren ausgesetzt worden war, hat am 30. April 2019 ein Termin zur Fortsetzung der mündlichen Verhandlung vor dem Landge-richt stattgefunden.
Die Antragsgegnerin vertreibt unter der Bezeichnung Repatha ihrerseits ein Arzneimittel, das den ebenfalls als PCSK9-Hemmer wirkenden Antikörper Evolocumab enthält. Für sämtliche Indikationen von Praluent ist auch Repatha zugelassen.
Mit Schriftsatz vom 12. Juli 2018 haben die Antragstellerinnen Klage auf Erteilung einer Zwangslizenz am Streitpatent erhoben und zugleich beantragt, ihnen die Benutzung der geschützten Erfindung zur Behandlung von Erwach-
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senen mit primärer Hypercholesterinämie (heterozygote familiäre und nicht fa-miliäre) oder gemischter Dyslipidämie durch das Arzneimittel Praluent in den vier genannten Abgabeformen vorläufig zu gestatten.
Das Patentgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen (BPatG, Mitt. 2019, 117). Dagegen wenden sich die Antragstellerinnen mit ihrer Beschwerde, wobei sie die begehrte vorläufige Gestattung zuletzt im Hauptantrag noch auf die Benutzung der geschützten Erfindung zur Behandlung von Erwachsenen mit bestehender athero-sklerotischer kardiovaskulärer Erkrankung zur Reduktion des kardiovaskulären Risikos erweitert haben und hilfsweise beantragen, ihnen die Benutzung der Erfindung zur Behandlung mit dem Arzneimittel Praluent von Erwachsenen mit primärer (heterozygoter familiärer und nicht familiärer) Hypercholesterinämie oder gemischter Dyslipidämie oder von Erwachsenen mit bestehender athero-sklerotischer kardiovaskulärer Erkrankung zur Reduktion des kardiovaskulären Risikos vorläufig zu gestatten, die
1. trotz einer hoch-intensiven Statin-Behandlung über bis zu vier Wochen mit 40 mg oder mehr Atorvastatin täglich oder 20 mg oder mehr Rosuvastatin täglich oder der maximal verträglichen Dosis eines dieser Wirkstoffe einen LDL-C-Wert von 100 mg/dl aufweisen und/oder
2. innerhalb von vier Wochen bis zwölf Monaten vor Beginn der Behandlung mit einem PCSK9-Inhibitor wegen Myokardinfarkt oder instabiler Angina Pectoris in einem Krankenhaus behan-delt wurden und/oder
3. unter Repatha einen LDL-C-Wert unter 25 mg/dl aufweisen und/oder
4. zuvor Praluent 75 mg eingenommen haben und/oder
5. trotz Behandlung mit Repatha einen LDL-C-Wert von über 70 mg/dl aufweisen und/oder
6. eine Behandlung mit Repatha aufgrund von Nebenwirkungen nicht fortsetzen können und/oder
7. eine Behandlung mit Repatha aufgrund nicht ausreichender Senkung des LDL-C-Wertes oder aufgrund von Nebenwirkun-gen abgebrochen haben und für die eine Behandlung mit ei-nem PCSK9-Inhibitor weiterhin indiziert ist.
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Die Antragsgegnerin verteidigt das Urteil des Patentgerichts, bittet um Zurückweisung auch des Hilfsantrags und beantragt hilfsweise die Anordnung der Verpflichtung der Antragstellerin zur Rechnungslegung und zur Sicherheits-leistung.
Entscheidungsgründe:
Das Rechtsmittel ist zulässig, bleibt aber in der Sache ohne Erfolg.
I. Das Patentgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
Die Antragstellerinnen hätten sich nicht innerhalb eines angemessenen Zeitraums bemüht, von der Antragsgegnerin die Zustimmung zur Benutzung der Erfindung zu angemessenen geschäftsüblichen Bedingungen zu erhalten. Als eine solche Bemühung komme erst das Lizenzangebot der Antragstellerinnen mit anwaltlichem Schreiben vom 20. Juni 2018 in Betracht. Das Ersuchen der Antragstellerinnen um eine Lizenz sei damit erst drei Wochen vor Einreichung des Antrags auf einstweilige Verfügung und nur wenig mehr als zwei Monate vor der mündlichen Verhandlung erfolgt. Ein derart kurzer Zeitraum sei nur in besonderen Fallgestaltungen angemessen, die im Streitfall nicht vorgelegen hätten. Die Antragsgegnerin sei mit einem eigenen, unmittelbar konkurrieren-den Produkt auf dem Markt und habe bereits in Verfahren in den USA deutlich gemacht, dass sie eine Lizenz nicht oder nur unter besonderen Umständen vergeben wolle. Die Antragstellerinnen hätten auch deshalb nicht davon ausge-hen dürfen, in kürzester Zeit den Abschluss eines Lizenzvertrages erreichen zu können, weil das Lizenzgesuch nur einen sehr niedrigen Lizenzsatz von 2 % vorgesehen habe und nach seinem Inhalt und seiner schroffen Tonlage eine eher ablehnende Reaktion habe erwarten lassen. Zudem hätten die Antragstel-lerinnen nicht näher erläutert, weshalb sich das Streitpatent als nicht rechtsbe-
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ständig erweisen würde, obwohl die Einspruchsabteilung in ihrem Zwischenbe-scheid vom 13. Dezember 2017 den gegenteiligen Standpunkt eingenommen hatte.
Die Antragstellerinnen hätten auch nicht glaubhaft gemacht, dass das öf-fentliche Interesse die Erteilung der Zwangslizenz gebiete. Es bestünden Zwei-fel, ob Praluent die behaupteten therapeutischen Eigenschaften aufweise und das Mortalitätsrisiko der behandelten Patienten signifikant senken könne. Mit den vorgetragenen Ergebnissen der klinischen Studie (Odyssey-Outcomes-Studie) sei nicht nachvollziehbar belegt, dass durch die Verabreichung von Praluent im Vergleich zur Placebo-Kontrollgruppe im Beobachtungszeitraum eine signifikante Reduzierung der Gesamtheit der Todesfälle (Gesamtmortalität) habe erreicht werden können. Zwar seien nach den Ergebnissen der Studie in der Placebo-Gruppe von 9462 Teilnehmern 392 Patienten verstorben, während in der gleich großen mit Praluent behandelten Gruppe nur 334 und damit 58 Patienten weniger verstorben seien. Bedenken gegen die Aussagekraft dieses Befundes ergäben sich allerdings daraus, dass sowohl bei den koronar beding-ten Todesfällen (CHD Death) mit einem P-Wert von 0,38 als auch bei der Ge-samtheit der kardiovaskulären Todesfälle (CV Death) mit einem P-Wert von 0,15 jeweils nur eine da P > 0,05 statistisch nicht signifikante Reduktion der Todesfälle ermittelt worden sei. Da diese nicht signifikanten Werte in den für die Gesamtmortalität ermittelten P-Wert von 0,026 einflössen, bestünden Beden-ken, ob es sich bei diesem, unter der 5-%-Schwelle liegenden Wert tatsächlich um einen signifikanten Wert handele. Diese Bedenken würden im Übrigen auch von den beiderseitigen Parteisachverständigen Prof. Dr. P. und Prof. Dr. F. geteilt.
Letztlich könne die Frage der behaupteten therapeutischen Wirkung von Praluent dahingestellt bleiben. Selbst unter der Annahme, dass sich nach der Odyssey-Outcomes-Studie die Gesamtmortalität gegenüber der Kontrollgruppe durch die Gabe von Alirocumab generell um 15 % und bei Hochrisikopatienten sogar um 29 % reduziert habe, hätten die Antragstellerinnen nicht glaubhaft
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gemacht, dass Praluent therapeutische Eigenschaften aufweise, die Repatha nicht oder nicht in gleichem Maße besitze. Dagegen spreche bereits, dass die Studien zu Praluent (Odyssey-Outcomes-Studie) und zu Repatha (Fourier-Studie) jeweils als Placebo-kontrollierte Doppelblindstudien angelegt gewesen seien, bei denen jeweils die Wirkungsweise des in dem Medikament enthalte-nen monoklonalen Antikörpers gegenüber einer Standardtherapie mit Statinen untersucht worden sei. Derartige Studien können einen direkten Wirkungsver-gleich der beiden Antikörper, wie er in einer Äquivalenzstudie untersucht werde, bei der ein einheitliches Patientenkollektiv unter einem einheitlichen Studiende-sign entweder den einen oder den anderen Antikörper als Wirkstoff erhalte, nicht ersetzen.
Maßgebend hierfür sei vor allem, dass in den genannten Studien unter-schiedliche Patientenkollektive behandelt worden seien. Bei den in der Odyssey-Outcomes-Studie untersuchten Patienten habe das akute Koronar-syndrom durchschnittlich erst 2,6 Monate zurückgelegen, während sich bei den Patienten der Fourier-Studie ein kardiovaskuläres Ereignis durchschnittlich be-reits vor 3,3 Jahren ereignet und damit ein wesentlich geringeres Mortalitätsrisi-ko bestanden habe. Die Studien hätten sich zudem in ihrem Studiendesign un-terschieden, so dass sich ein unmittelbarer Vergleich der Ergebnisse ebenso verbiete wie Hoch- oder Umrechnungen.
Es sei auch nicht glaubhaft, dass ein öffentliches Interesse an der weite-ren Verfügbarkeit von Praluent aufgrund dessen Verfügbarkeit in zwei unter-schiedlichen Dosierungen und der damit gegenüber Repatha eröffneten Mög-lichkeit der Gabe einer deutlich geringeren Dosis oder wegen struktureller Un-terschiede der monoklonalen Antikörper Alirocumab und Evolocumab bestehe. Beide Antikörper bänden selektiv an diejenige PSCK9-Region, die mit der ext-razellulären Domäne des LDL-Rezeptor-Proteins (LDLR) interagiere, und ver-hinderten auf diese Weise eine PCSK9-LDLR-Wechselwirkung und einen en-dosomatischen Abbau des Rezeptorproteins. Zwar gebe es strukturelle Unter-schiede in der Antigenbindungsstelle, da sich die jeweiligen Epitope lediglich in
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zwei von zwanzig Aminosäuren überlappten. Auswirkungen auf die Wirksamkeit oder Nebenwirkungen des Antikörpers hätten die Antragstellerinnen jedoch nicht glaubhaft gemacht.
Gleiches gelte hinsichtlich möglicher Unverträglichkeitsreaktionen oder eines Nichtansprechens von Patienten auf Repatha. Einzelfälle, in denen Pati-enten auf Repatha nicht oder nur schlecht angesprochen hätten oder Neben-wirkungen aufgetreten seien, während dies bei der Gabe von Praluent nicht der Fall gewesen sei, belegten nicht, dass der unterschiedliche Behandlungserfolg auf gegenüber Praluent nachteilige Eigenschaften von Repatha zurückzuführen sei.
II. Diese Beurteilung hält der Überprüfung im Beschwerdeverfahren auch hinsichtlich der zuletzt gestellten Fassung des Hauptantrags stand.
1. Rechtsfehlerfrei ist das Patentgericht zu der Beurteilung gelangt, die Antragstellerinnen hätten keine ausreichenden Bemühungen um eine rechtsge-schäftliche Lizenz zu angemessenen geschäftsüblichen Bedingungen entfaltet.
a) Da die Erteilung einer Zwangslizenz tief in das grundsätzliche Recht des Patentinhabers eingreift, frei zu entscheiden, ob und gegebenenfalls unter welchen Bedingungen er einem Dritten die Benutzung der erfindungsgemäßen technischen Lehre gestatten möchte (§ 9 PatG), setzt § 24 PatG nicht nur vo-raus, dass das öffentliche Interesse sachlich die Erteilung der Zwangslizenz gebietet. Der hoheitliche Eingriff in das dem Patentinhaber verliehene Aus-schließlichkeitsrecht durch die staatliche Gewährung der Zwangslizenz muss vielmehr auch deswegen erforderlich sein, weil sich der Patentinhaber dem „milderen Mittel“ der vertraglichen Einräumung einer Benutzungsgestattung zu angemessenen Bedingungen verweigert hat.
Diese damit anders als nach früherem Recht nicht prozessuale, son-dern materielle Voraussetzung für die Erteilung einer patentrechtlichen Zwangslizenz muss zwar nicht zwingend schon im Zeitpunkt der Einreichung
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der Zwangslizenzklage vorliegen; entsprechend allgemeinen Grundsätzen reicht es vielmehr aus, wenn sie am Schluss der mündlichen Verhandlung er-füllt ist. Aus dem gesetzlichen Erfordernis, dass sich das Bemühen über einen angemessenen Zeitraum hinweg erstreckt haben muss, ergibt sich aber, dass es nicht ausreicht, wenn sich der Lizenzsucher während des Verfahrens gewis-sermaßen „in letzter Minute“ zur Zahlung einer angemessenen Lizenz bereit erklärt. Vielmehr muss er über einen gewissen Zeitraum hinweg in einer der jeweiligen Situation angemessenen Weise versucht haben, sich mit dem Pa-tentinhaber über die Erteilung einer Lizenz zu einigen. Welcher Zeitraum und welche Maßnahmen hierzu erforderlich sind, ist eine Frage des Einzelfalls (BGH, Urteil vom 11. Juli 2017 X ZB 2/17, BGHZ 215, 214 Rn. 19 Raltegra-vir).
Dabei wird der Zeitraum, den der Lizenzsucher dem Patentinhaber las-sen muss, um die Frage nach dem Ob einer Lizenzierung zu klären und gege-benenfalls die angemessenen Bedingungen einer Lizenzierung zu verhandeln, maßgeblich einerseits durch die Dringlichkeit der Entscheidung über eine ver-tragliche Lizenzvergabe, andererseits aber auch durch die Komplexität der Ent-scheidungssituation und dadurch bestimmt, ob und zu welchem Zeitpunkt der Lizenzsucher dem Patentinhaber diejenigen Informationen zur Verfügung stellt, die dieser billigerweise erwarten kann, bevor er eine Entscheidung über den Abschluss eines Lizenzvertrages und gegebenenfalls dessen Bedingungen trifft.
b) Danach lässt es keinen Rechtsfehler erkennen, dass das Patentge-richt es für unzureichend gehalten hat, dass die Antragstellerinnen der Antrags-gegnerin erstmals mit Schreiben vom 20. Juni 2018 den Abschluss eines Li-zenzvertrages angeboten haben, obwohl ein solches Angebot zu einem deutlich früheren Zeitpunkt hätte gemacht werden können. Dies fällt, wie das Patentge-richt gleichfalls zutreffend angenommen hat, umso stärker ins Gewicht, als das Schreiben das Angebot mit dem Bemerken, dies sei eher zu hoch denn zu niedrig bemessen nur dahin näher konkretisierte, dass eine für einen patent-
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geschützten Arzneimittelwirkstoff (sehr) niedrige Lizenzgebühr von 2 % angebo-ten wurde und diese Lizenzgebühr zudem nur für in Deutschland hergestellte oder in den Verkehr gebrachte Praluent-Produkte gezahlt werden sollte, und als die Antragstellerinnen, ohne die angekündigte Antwort der Antragsgegnerin ab-zuwarten, bereits gut drei Wochen später die Zwangslizenzklage eingereicht und beim Patentgericht den Antrag auf vorläufige Benutzungsgestattung ange-bracht haben. Unter diesen Umständen hatte die Antragsgegnerin keinen An-lass, im Schreiben der Antragstellerinnen vom 20. Juni 2018 den ernstgemein-ten Versuch zu erkennen, mit ihr zu einer vertraglichen Einigung zu angemes-senen Bedingungen zu gelangen.
Dies schloss zwar noch nicht aus, dass die Antragstellerinnen bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vom 6. September 2018 vor dem Patent-gericht den Anforderungen des § 24 Abs. 1 Nr. 1 PatG genügten, erhöhte aber in Anbetracht des bis dahin verbleibenden kurzen Zeitraums die Anforderungen an ein der Situation und dem Zeitrahmen angemessenes Bemühen. An solchen angemessenen Bemühungen haben es die Antragstellerinnen aber schon des-halb fehlen lassen, weil sie vor der mündlichen Verhandlung vom 6. September 2018 nicht mehr ihrerseits auf das Antwortschreiben der Antragsgegnerin vom 24. Juli 2018 geantwortet haben.
Ein weiteres Bemühen der Antragstellerinnen wäre zwar entbehrlich ge-wesen, wenn die Antragsgegnerin in ihrem Schreiben vom 24. Juni 2018 die Erteilung einer Lizenz schlechthin verweigert hätte und damit weitere Verhand-lungen aussichtslos geworden wären (vgl. Benkard/Rogge/Kober-Dehm, PatG, 11. Aufl. (2015), § 24 Rn. 13). Eine solche Verweigerung ist dem Schreiben aber entgegen der Ansicht der Antragstellerinnen nicht zu entnehmen. Die Antragsgegnerin hat darin zwar ausgeführt, es sei ihre grundsätzliche Unter-nehmenspolitik, bei Vertrieb eines eigenen patentgemäßen Produktes keine Lizenzen an Wettbewerber zu erteilen. Sie hat aber zugleich darauf hingewie-sen, dass eine Ausnahme in Erwägung gezogen werden könne, wenn außer-gewöhnliche Umstände vorlägen, und deren Vorliegen von einer Überprüfung
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der Behauptung der Antragstellerinnen abhängig gemacht, dass eine Zwangsli-zenz tatsächlich dem öffentlichen Interesse diene. Die Notwendigkeit einer sol-chen Überprüfung hat sie damit begründet, dass die Antikörper der Parteien die PCSK9-LDLR-Interaktion über denselben Wirkungsmechanismus blockierten und von der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) zur Behandlung der glei-chen Krankheiten und der gleichen Patienten zugelassen seien. Keine Zulas-sungsbehörde habe die Daten der Odyssey-Outcomes-Studie analysiert oder sei gar zu der Schlussfolgerung gelangt, dass Praluent gegenüber Repatha ei-nen Vorteil biete. Sie, die Antragsgegnerin, hätte die Gewährung von Zugriff auf diese Dokumente erwartet, wenn die Antragstellerinnen der Auffassung wären, die Studiendaten stützten ihre gegenteilige Behauptung. Ohne einen solchen Zugang der in einem Verfahren in den USA mit Vertraulichkeitsverpflichtung angeordnet worden sei könne die Behauptung, die Verfügbarkeit von Praluent sei im Patienteninteresse, nicht geprüft werden.
Danach kann ein erfolgloses Bemühen der Antragstellerinnen nicht schon deshalb angenommen werden, weil sich die Antragsgegnerin dem Ab-schluss eines Lizenzvertrages von vornherein verweigert hat. Vielmehr haben es die Antragstellerinnen an einem hinreichenden Bemühen fehlen lassen, weil sie Verhandlungen zum Abschluss eines Lizenzvertrages erst spät mit einem inhaltlich wenig entgegenkommenden Angebot aufgenommen und vor der mündlichen Verhandlung vor dem Patentgericht nicht mehr auf das Antwort-schreiben der Antragsgegnerin geantwortet haben.
c) Auch die weitere Korrespondenz zwischen den Parteien nach der mündlichen Verhandlung vor dem Patentgericht rechtfertigt keine andere Be-wertung.
Die Antragstellerinnen haben auf das Schreiben der Antragsgegnerin vom 24. Juni 2018 erst mit Schreiben vom 21. November 2018, also überhaupt erst zweieinhalb Monate nach Zurückweisung des Antrags auf vorläufige Be-nutzungsgestattung und unmittelbar vor der am 28. November 2018 beginnen-
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den Verhandlung vor der Einspruchsabteilung, reagiert. In diesem Schreiben erläutern die Antragstellerinnen nochmals ihr vom Patentgericht für nicht durchgreifend erachtetes Vorbringen im Zwangslizenzverfahren zu den Er-gebnissen der Odyssey-Outcomes-Studie, gehen aber weder auf die Forderung der Antragsgegnerin ein, ihr weitere Daten zugänglich zu machen, noch bes-sern sie ihr Lizenzangebot sonst nach. Diese Reaktion war nicht nur deutlich zu spät, sondern auch inhaltlich unzureichend.
Da ein forschender Arzneimittelhersteller das Ziel hat, mit einem patent-geschützten Erzeugnis einen angemessenen Deckungsbeitrag zu den Gesamt-kosten seiner Forschungs- und Entwicklungstätigkeit zu erwirtschaften, ent-spricht es häufig, wenn nicht regelmäßig seinem Interesse, keine Lizenzen an Wettbewerber zu vergeben, die ein dem eigenen Produkt gleichwertiges Kon-kurrenzerzeugnis auf den Markt bringen wollen. Gleichwohl ist die Lizenzverga-be auch aus seiner Sicht vernünftig, wenn nicht gar geboten, wenn das Konkur-renzerzeugnis wesentliche überlegene Eigenschaften aufweist und seine Ver-fügbarkeit daher nicht nur im Patienteninteresse ist, sondern deshalb gegebe-nenfalls auch die Gewährung einer Zwangslizenz rechtfertigt, die der Hersteller durch eine vertragliche Gestattung der Benutzung der geschützten Erfindung abwenden kann. Aus der Sicht des Patentinhabers und potentiellen Lizenzge-bers kommt es deshalb entscheidend darauf an, ob das zu lizenzierende Er-zeugnis solche Eigenschaften aufweist. Ein „williger Lizenznehmer“, der sich in angemessener Weise um eine Lizenz zu angemessenen, üblichen Bedingun-gen bemüht, wird dieses Interesse anerkennen und dem Patentinhaber diejeni-gen Informationen zur Verfügung stellen, die er ihm zumutbarerweise zur Ver-fügung stellen kann, um eine behauptete Überlegenheit des eigenen Produkts zu verifizieren. Dabei werden die Parteien wie auch sonst bei Lizenzverhand-lungen gegebenenfalls Abreden über die vertrauliche Behandlung geheimhal-tungsbedürftiger Informationen treffen, die sowohl dem Erkenntnisinteresse des Patentinhabers als auch dem Geheimhaltungsinteresse des Lizenzsuchers an-gemessen Rechnung tragen.
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Vor diesem Hintergrund kann es jedenfalls nicht als angemessenes Be-mühen angesehen werden, dass die Antragstellerinnen auch nach der mündli-chen Verhandlung vor dem Patentgericht nicht zumindest in eine Erörterung des Interesses der Antragsgegnerin an weiteren Daten, die möglicherweise positiv oder negativ weiteren Aufschluss über einen signifikanten Einfluss der Gabe von Praluent auf das Mortalitätsrisiko geben konnten, eingetreten sind.
d) Nach der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamtes am 30. November 2018, an deren Ende das Streit-patent im Wesentlichen aufrechterhalten wurde, und dem Antwortschreiben der Antragsgegnerin vom 19. Dezember 2018 haben sich die Antragstellerinnen – erst wieder mehrere Monate später – mit Schreiben vom 2. April 2019 bei der Antragsgegnerin gemeldet. Darin wiederholen die Antragstellerinnen lediglich ihre Bereitschaft, einen Lizenzvertrag abschließen zu wollen, beschränken ihr Angebot aber weiterhin auf den deutschen Teil des Streitpatents und erhöhen auch die erstmals mit Schreiben vom 20. Juni 2018 angebotene Lizenzgebühr von 2 % nicht, obwohl die „massiven Zweifel an der Rechtsbeständigkeit“ des Streitpatents, mit denen sie diese eher geringe Höhe der angebotenen Lizenz-gebühr begründet hatten, durch die Entscheidung der Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamtes gerade nicht bestätigt wurden. Darin kann ebenso wenig ein ernsthaftes Bemühen der Antragstellerinnen um den Abschluss eines Lizenzvertrages gesehen werden, wie dies bereits bei ihren vorangegangenen Schreiben der Fall gewesen ist.
2. Zutreffend hat es das Patentgericht ferner als nicht glaubhaft ge-macht angesehen, dass das öffentliche Interesse im Streitfall die Erteilung einer Zwangslizenz gebietet.
a) Ein die Erteilung einer Zwangslizenz gebietendes öffentliches Inter-esse kann zu bejahen sein, wenn ein Arzneimittel zur Behandlung schwerer Erkrankungen therapeutische Eigenschaften aufweist, die die auf dem Markt erhältlichen Mittel nicht oder nicht in gleichem Maße besitzen, oder wenn bei
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seinem Gebrauch unerwünschte Nebenwirkungen vermieden werden, die bei Verabreichung der anderen Therapeutika in Kauf genommen werden müssen. Eine Zwangslizenz kann hingegen grundsätzlich nicht zugesprochen werden, wenn das öffentliche Interesse mit anderen, im Wesentlichen gleichwertigen Ausweichpräparaten befriedigt werden kann (BGH, Urteil vom 5. Dezember 1995 X ZR 26/92, BGHZ 131, 247, 254 ff. Interferon-gamma; BGHZ 215, 214 Rn. 39 Raltegravir).
b) Praluent und das von der Antragsgegnerin vertriebene Erzeugnis Repatha beruhen, wie das Patentgericht näher ausgeführt hat und von der Be-schwerde auch nicht bezweifelt wird, auf dem gleichen Wirkungsmechanismus. Die monoklonalen Antikörper Alirocumab und Evolocumab binden jeweils selek-tiv an diejenige Region der Serinprotease PSCK9, die mit der extrazellulären Domäne des LDL-Rezeptor-Proteins interagiert, und verhindern auf diese Wei-se eine Wechselwirkung zwischen Proproteinkonvertase und Rezeptorprotein und dessen endosomatischen Abbau. Dies begünstigt wiederum den Choleste-rinabbau und ermöglicht eine deutliche Absenkung des Cholesterinspiegels, die nach den Ergebnissen der Fourier-Studie und der Odyssey-Outcomes-Studie dazu führt, dass das Risiko eines schweren kardiovaskulären Vorfalls (Major Adverse Cardiovascular Event MACE), wie eines koronaren Herztods, eines Herzinfarkts, eines Schlaganfalls oder einer instabilen Angina pectoris, um etwa 15 % gesenkt wird. Da diese bedeutsame pharmakologische Wirkung von bei-den Antikörpern erzielt wird, kann sie allein jedoch das öffentliche Interesse an der begehrten Zwangslizenz nicht begründen.
c) Zu Recht hat das Patentgericht angenommen, dass die Antragstelle-rinnen mit den Ergebnissen der Odyssey-Outcomes-Studie nicht glaubhaft ge-macht haben, dass die Gabe von Praluent die Mortalitätsrate mit diesem Wirk-stoff behandelter Hypercholesterinämie-Patienten senkt.
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aa) Es steht außer Streit, dass zwar nach den Ergebnissen der Odyssey-Outcomes-Studie in der Praluent-Gruppe numerisch weniger Patienten einen koronaren Herztod erlitten oder wegen eines kardiovaskulären Krankheitsbilds verstorben sind als in der Kontrollgruppe, dass diese Ergebnisse aber statis-tisch nicht signifikant sind. Es kann daher nach den Grundsätzen evidenz-basierter Medizin nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden, dass es sich um ein Zufallsergebnis handelt, so wie es auf Zufall beruhen kann, dass nach den Ergebnissen der Fourier-Studie (bei der das Mortalitätsrisiko wegen des gewählten Beobachtungszeitraums geringer war) in der Repatha-Gruppe die Quote der kardiovaskulären Todesfälle sogar größer war als in der dortigen Kontrollgruppe.
bb) Vor diesem Hintergrund hält es der Nachprüfung im Beschwerdever-fahren stand, dass das Patentgericht der in der Odyssey-Outcomes-Studie ausgewiesenen, gegenüber der Kontrollgruppe numerisch niedrigeren Ge-samtmortalitätsrate nicht diejenige Bedeutung beigemessen hat, die ihr die An-tragstellerinnen beimessen wollen.
(1) Von wesentlicher Bedeutung ist dabei, dass die Odyssey-Outcomes-Studie die Erreichung primärer und sekundärer Endpunkte untersucht und nur die koronaren und kardiovaskulären Todesursachen zu den hierarchisch vorge-lagerten sekundären Endpunkten gehören, während die Gesamtzahl der (nicht nach Ursachen unterschiedenen) Todesfälle im Beobachtungszeitraum (Ge-samtmortalität) nur als nachgeordneter sekundärer Endpunkt berücksichtigt worden ist. Unter einem Endpunkt einer klinischen Studie wird ein (vorab ge-setzter) Wirksamkeitsparameter verstanden, dessen Erreichung über den Erfolg der Studie entscheidet. Wie die Antragsgegnerin insbesondere durch die Erklä-rung von Prof. Dr. M. (AG-B7) und die dieser beigefügten Anlagen glaubhaft gemacht hat und jedenfalls im Grundsatz auch von den Antragstel-lerinnen nicht in Abrede gestellt wird, muss bei der sachgerechten Auswertung klinischer Studien mit einer Mehrzahl vordefinierter Endpunkte das Risiko be-
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rücksichtigt werden, dass mit der Zahl der Endpunkte die Gefahr falsch-positiver Schlussfolgerungen steigt.
In den Richtlinien der US Food and Drug Administration (FDA) wird die-ses Problem an einem Beispiel erläutert, in dem bei nur einem Endpunkt und einem Schwellwert für statistische Signifikanz von 0,05 ein 5-prozentiges Risiko besteht, dass es sich um ein falsch-positives Ergebnis handelt, während bei zwei Endpunkten und einem individuellen Schwellwert für die statistische Signi-fikanz von 0,05 ein rund 10-prozentiges Risiko besteht, dass bei einem der bei-den Endpunkte ein falsch-positives Ergebnis vorliegt (vgl. FDA, Multiple End-points in Clinical Trials, Draft Guidance for Industry, January 2017, S. 7, Z. 258 ff.; Anl. 4 zu AG-B7).
Diesem Problem der „Multiplizität“ kann durch eine Anpassung des Schwellwertes entsprechend der Anzahl der Endpunkte Rechnung getragen werden. Im Beispielsfall mit zwei Endpunkten ist dies etwa nach der Bonferroni-Methode ein Schwellwert von 0,025 anstelle von 0,05 (vgl. zur Bonferroni-Methode und weiteren statistischen Methoden zur Bereinigung des Problems der Mulitiplizität: FDA, aaO, S. 24 f.). Ein anderer Ansatz, das Problem der Mul-tiplizität zu bereinigen, liegt in einem hierarchischen Testverfahren, bei dem für die Endpunkte vorab eine Reihenfolge festgelegt wird. Anders als etwa die Bon-ferroni-Methode erfordert ein solches hierarchisches Testverfahren keine Re-duktion des Schwellwerts für den P-Wert. Dem Problem der Multiplizität wird stattdessen u.a. dadurch Rechnung getragen, dass kein in der Hierarchie nied-rigerer Endpunkt als statistisch signifikant angesehen wird, wenn bei einem darüber liegenden Endpunkt die Signifikanzschwelle nicht erreicht wurde (FDA, aaO, S. 29 ff. „The Fixed-Sequence Method“; Erklärung M. , AG-B7 Rn. 22 f.).
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(2) Bei der Odyssey-Outcomes-Studie ist ein solches hierarchisches Testverfahren zugrunde gelegt worden. In der in erster Instanz erörterten Prä-sentation von Ergebnissen der Studie ist deshalb der P-Wert von 0,026 für die Gesamtmortalitätsrate als „nominaler“ P-Wert bezeichnet (HE19, Folie 33).
Dem entspricht die Behandlung des sekundären Endpunkts „Gesamt-mortalität“ in der geänderten Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimit-tels (Summary of Product Characteristi