Der Schadensersatz in Patentverletzungsfällen wird im deutschen und europäischen Recht auf Grundlage des Patentrechtsgesetzes (§ 139 PatG) sowie weiterer relevanter Regelungen berechnet. Der Patentinhaber kann zwischen drei Berechnungsmethoden wählen, die jeweils auf unterschiedliche Aspekte der Verletzung abstellen. Nachfolgend eine umfassende Darstellung der Methoden, relevanter Rechtsprechung und Beispiele:
1. Berechnungsmethoden für den Schadensersatz
a) Konkreter Schaden (entgangener Gewinn)
- Grundlage: Ermittlung des Gewinns, den der Patentinhaber ohne die Verletzung erzielt hätte.
- Berechnung:
- Feststellen des Marktanteils des Patentinhabers.
- Schätzung der Verkaufszahlen des Verletzers.
- Abgleich: Wie viele Verkäufe des Verletzers hätte der Patentinhaber realistischerweise erzielt?
- Abzug von variablen Kosten (z. B. Herstellungskosten).
- Beispiel:
- Der Verletzer verkauft 10.000 Produkte.
- Der Patentinhaber hätte 50 % des Marktes bedient.
- Gewinn pro Produkt: 50 €.
- Schadensersatz: 10.000 × 50 % × 50 € = 250.000 €.
b) Lizenzanalogie
- Grundlage: Fiktive Lizenzgebühren, die der Verletzer hätte zahlen müssen, um das Patent legal zu nutzen.
- Berechnung:
- Lizenzsatz wird auf Basis üblicher Branchenvereinbarungen oder bestehender Lizenzverträge geschätzt.
- Umsatz des Verletzers wird mit dem Lizenzsatz multipliziert.
- Beispiel:
- Der Verletzer erzielt einen Umsatz von 1.000.000 €.
- Üblicher Lizenzsatz: 5 %.
- Schadensersatz: 1.000.000 € × 5 % = 50.000 €.
- Relevante Rechtsprechung:
- BGH, Az. I ZR 57/09 (Flaschenträger): Der BGH stellte klar, dass der Lizenzsatz im Rahmen der Lizenzanalogie anhand objektiver Kriterien zu bestimmen ist, z. B. übliche Branchenlizenzen.
c) Herausgabe des Verletzergewinns
- Grundlage: Der Verletzer muss seinen Gewinn aus der Patentverletzung herausgeben.
- Berechnung:
- Ermittlung des Gewinns, der direkt auf die Nutzung des geschützten Patents zurückzuführen ist.
- Abzug von Kosten, die nachweislich nicht mit der Patentverletzung in Zusammenhang stehen (z. B. allgemeine Gemeinkosten).
- Beispiel:
- Verletzerumsatz: 1.000.000 €.
- Gewinnmarge: 20 % (200.000 €).
- Nachweisbare Gemeinkosten: 50.000 €.
- Herauszugebender Gewinn: 200.000 € − 50.000 € = 150.000 €.
- Relevante Rechtsprechung:
- BGH, Az. X ZR 85/12 (Vergütungsregeln): Der BGH entschied, dass der Verletzer nur den Gewinn herausgeben muss, der kausal mit der Patentverletzung verbunden ist.
2. Weitere Ansprüche neben dem Schadensersatz
Neben dem Schadensersatz können auch andere Ansprüche geltend gemacht werden:
- Unterlassung: Verbot der weiteren Nutzung des Patents (§ 139 PatG).
- Vernichtung oder Rückruf: Zerstörung der rechtsverletzenden Produkte (§ 140a PatG).
- Auskunft und Rechnungslegung: Verpflichtung des Verletzers zur Offenlegung seiner Gewinne (§ 140b PatG).
3. Beispiele aus der Rechtsprechung
a) „Mikrowellenofen“ (BGH, Az. X ZR 18/94)
- Sachverhalt:
- Ein Unternehmen nutzte patentierte Technologie in Mikrowellenöfen ohne Lizenz.
- Entscheidung:
- Der Schadensersatz wurde auf Basis der Lizenzanalogie berechnet.
- Der Lizenzsatz wurde auf 5 % des Umsatzes der Mikrowellenöfen festgelegt.
- Schadensersatz: Mehrere Millionen DM.
b) „Flaschenträger“ (BGH, Az. I ZR 57/09)
- Sachverhalt:
- Patentverletzung durch die Herstellung von Flaschenträgern mit einem geschützten Design.
- Entscheidung:
- Der BGH klärte, dass die Lizenzanalogie objektiv anhand üblicher Marktpraktiken berechnet werden muss.
- Fiktiver Lizenzsatz: 4 % des Umsatzes.
c) „Vergütungsregeln“ (BGH, Az. X ZR 85/12)
- Sachverhalt:
- Der Verletzer hatte mit patentierten Technologien einen Gewinn erzielt.
- Entscheidung:
- Der Verletzer durfte nur den Gewinn herausgeben, der direkt mit der Patentverletzung verbunden war.
4. Einflussfaktoren auf die Schadenshöhe
- Marktanteil des Patentinhabers:
- Höherer Marktanteil → Höherer entgangener Gewinn.
- Umsatz und Gewinn des Verletzers:
- Basis für die Berechnung bei Lizenzanalogie oder Herausgabe des Verletzergewinns.
- Komplexität des Produkts:
- Bei Produkten mit vielen Komponenten (z. B. Autos, Maschinen) wird oft ein anteiliger Gewinn berechnet.
- Lizenzmarkt:
- Wenn keine vergleichbaren Lizenzverträge existieren, müssen fiktive Lizenzsätze geschätzt werden.
5. Rolle von Patentanwälten und Anwälten in Schadensersatzfällen
- Vorbereitung:
- Analyse des Patents und der Verletzung.
- Festlegung der besten Berechnungsmethode.
- Sammlung von Beweisen (z. B. Marktanalysen, Lizenzverträge, Verkaufszahlen).
- Durchsetzung:
- Vertretung in gerichtlichen Verfahren.
- Durchführung von Auskunfts- und Rechnungslegungsverfahren.
- Verteidigung:
- Unterstützung des Verletzers bei der Reduzierung des Schadensersatzes (z. B. Abzug nicht kausaler Gewinne).
6. Schadensersatz
Der Schadensersatz bei Patentverletzungen wird nach klar definierten Methoden berechnet, wobei der Patentinhaber zwischen drei Optionen wählen kann: konkreter Schaden, Lizenzanalogie oder Verletzergewinn. Die Wahl der Methode hängt von der Beweislage, der Art der Verletzung und dem Marktumfeld ab. Rechtsprechung wie BGH, Flaschenträger (I ZR 57/09) oder BGH, Vergütungsregeln (X ZR 85/12) liefert wichtige Leitlinien für die Berechnung. Patentanwälte spielen eine entscheidende Rolle bei der optimalen Geltendmachung oder Abwehr von Schadensersatzansprüchen.