BGH URTEIL X ZR 71/19 vom 3. August 2021 – Bediengerät für Spiele

PatG § 110 Abs. 1, § 115 Abs. 1

a) Hat der Kläger in der ersten Instanz des Patentnichtigkeitsverfahrens erklärt, dass er den vom Beklagten mit einem Hilfsantrag verteidigten Gegenstand des Streitpatents nicht angreift, ist eine Berufung mit dem Ziel, das Streitpatent in weitergehendem Umfang für nichtig zu erklären, mangels formeller Beschwer unzulässig.

b) Ein solches Rechtsmittel kann in eine Anschlussberufung umgedeutet werden, wenn die für diesen Rechtsbehelf maßgeblichen Zulässigkeitsvoraussetzun-gen vorliegen.

BGH, Urteil vom 3. August 2021 – X ZR 71/19 – Bundespatentgericht

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Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 3. August 2021 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Bacher, den Richter Dr. Deichfuß, die Richterinnen Dr. Picker und Dr. Rombach und den Richter Dr. Rensen
für Recht erkannt:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des 4. Senats (Nichtigkeits-senats) des Bundespatentgerichts vom 26. März 2019 unter Zurückwei-sung des Rechtsmittels der Klägerin abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Von Rechts wegen
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Tatbestand:
Die Beklagte ist Inhaberin des mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 1 854 518 (Streitpatents), das am 7. Juni 2006 unter Inanspruchnahme der Priorität einer japanischen Anmeldung vom 22. August 2005 angemeldet worden ist und eine Spielsteuervorrichtung be-trifft. Patentanspruch 1, auf den fünf weitere Ansprüche zurückbezogen sind, lautet in der Verfahrenssprache:
A game operating device (10), comprising
a longitudinal housing (12) having a thickness capable of being held by one hand (62);
a first operating portion (26, 42) provided on said housing (10), said first operating portion (26, 42) provided on a first plane (20) of said housing (12) along a longi-tudinal direction (C1);
an imaging means (56) to capture image data; a data transmission portion (70) for transmitting data by radio waves,
a second operating portion (42, 28) provided on a second plane (22) opposed to said first plane (20) of said housing (12) at a position reached by an index finger (62b) of said one hand (62) when a thumb (62a) of said one hand (62) is placed on said first operating portion (26, 42); and
a holding portion (18) formed at a position where it can be held by a palm (62P) and other fingers (62c, 62d, 62e) of said one hand (62) when a thumb (62a) is placed on said first operating portion (26, 42) and an index finger (62b) is placed on said second operating portion (42, 28) the device being characterised by:
the imaging means (56) being provided at an end (52) opposed to said holding portion (18) of said housing (10) in such a manner that it can perform imaging in a direction in which the thumb (56a) is faced when said thumb (56a) is placed on said first operating portion (26, 42) and said holding portion (18) is held by said palm (62P) and the other fingers (62c, 62d, 62e);
an image processing means (76) being provided in such a manner that it can obtain high intensity portion data on the position of a high intensity portion of the image data provided by the imaging means (50);
an acceleration sensor (68) being provided inside said housing (12); and
said data transmitted by said data transmission portion (70) being a sequence of data including operational data from said operating portions (26, 42; 42, 28), ac-celeration data from said acceleration sensor (68) and said high intensity portion data.
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Die Klägerin, die aus dem Streitpatent gerichtlich in Anspruch genommen wird, hat dieses insgesamt angegriffen und geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents gehe über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Unterlagen hinaus und sei nicht patentfähig. Die Beklagte hat das Schutzrecht in der erteilten Fassung und hilfsweise in drei geänderten Fassungen verteidigt.
Das Patentgericht hat das Streitpatent für nichtig erklärt, soweit sein Ge-genstand über die mit dem erstinstanzlichen Hilfsantrag 1 verteidigte Fassung hinausgeht. Von einer Abweisung der Klage im Übrigen hat es abgesehen, weil die Klägerin erklärt hat, dass sie das Schutzrecht in der Fassung von Hilfsan-trag 1 nicht angreife. Hiergegen richten sich beide Parteien mit der Berufung.
Die Beklagte begehrt in erster Linie die vollständige Abweisung der Klage. Hilfsweise verteidigt sie das Schutzrecht mit sechs Hilfsanträgen sowie in der Fassung des angefochtenen Urteils.
Die Klägerin begehrt, vorsorglich auch im Wege der Anschlussberufung, die vollständige Nichtigerklärung des Streitpatents.
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Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet. Das Rechtsmittel der Klägerin ist als Anschlussberufung zulässig, aber nicht begründet.
I. Die Berufung der Klägerin ist mangels formeller Beschwer unzuläs-sig.
1. Die Zulässigkeit eines Rechtsmittels der klagenden Partei setzt eine formelle Beschwer voraus. Diese liegt nur dann vor, wenn die angefochtene Ent-scheidung zum Nachteil der klagenden Partei von dem gestellten Antrag ab-weicht, ihrem Begehren also nicht voll entsprochen worden ist (BGH, Beschluss vom 11. März 2015 – XII ZB 553/14, NJW-RR 2015, 1203 Rn. 8).
Diese Voraussetzung ist – wie auch die Klägerin nicht verkennt – im Streit-fall nicht erfüllt.
a) In der mündlichen Verhandlung vor dem Patentgericht hat die Klä-gerin ausweislich des Protokolls erklärt, sie greife das Streitpatent in der mit Hilfs-antrag 1 verteidigten Fassung nicht an.
Damit hat die Klägerin zum Ausdruck gebracht, dass sie ihren schriftlich angekündigten Antrag auf vollständige Nichtigerklärung nicht mehr weiterver-folgt, sondern eine Nichtigerklärung nur noch insoweit begehrt, als der Gegen-stand des Streitpatents über die mit dem erstinstanzlichen Hilfsantrag 1 vertei-digte Fassung hinausgeht.
Diesem eingeschränkten Klagebegehren hat das Patentgericht vollen Um-fangs entsprochen.
b) Entgegen der Auffassung der Klägerin war die Beschränkung der Klage nicht deshalb unwirksam, weil sie unter einer Bedingung gestanden hätte.
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Unter einer prozessualen Bedingung standen die Hilfsanträge der Beklag-ten. Diese waren für den Fall gestellt, dass der jeweils vorangehende Antrag keinen Erfolg hat.
Der in der mündlichen Verhandlung gestellte Antrag der Klägerin enthielt demgegenüber eine gegenständliche Beschränkung des Klageangriffs. Diese Beschränkung stand nicht unter einer Bedingung. Sie war für den Tenor der erst-instanzlichen Entscheidung zwar nur dann von Bedeutung, wenn das Patentge-richt die erteilte Fassung als nicht rechtsbeständig ansah. Darin liegt aber keine Bedingung. Aufgrund der vorgenommenen Beschränkung war es dem Patentge-richt vielmehr unter allen Umständen verwehrt, über den Rechtsbestand des mit Hilfsantrag 1 verteidigten Gegenstands zu entscheiden.
2. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist eine formelle Beschwer des Klägers und Berufungsklägers im Patentnichtigkeitsverfahren nicht deshalb entbehrlich, weil der Nichtigkeitsbeklagte das angegriffene Schutzrecht in der Be-rufungsinstanz auch dann in der erteilten Fassung verteidigen darf, wenn er es in der ersten Instanz nur in geänderten Fassungen verteidigt hat.
a) Die umfassende Verteidigungsbefugnis des Nichtigkeitsbeklagten beruht darauf, dass eine beschränkte Verteidigung des Schutzrechts im Nichtig-keitsverfahren gleich behandelt wird wie eine Beschränkung des Schutzrechts in dem dafür vorgesehenen besonderen patentrechtlichen Beschränkungsverfah-ren und die Beschränkungserklärung in diesem Verfahren bis zu einer bestands-kräftigen Entscheidung zurückgenommen werden kann (BGH, Urteil vom 17. Februar 2004 – X ZR 48/00, GRUR 2004, 583, 584, juris Rn. 34 – Tinten-standsdetektor).
An einer vergleichbaren Ausgangslage fehlt es, wenn der Kläger ein Pa-tent mit der Nichtigkeitsklage nur in beschränktem Umfang angreift. Für eine spä-tere Erweiterung der Klage gelten die allgemeinen prozessualen Regeln. Ein be-sonderes patentrechtliches Verfahren mit hiervon abweichenden Regeln ist inso-weit nicht vorgesehen.
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b) Entgegen der Auffassung der Klägerin ist eine Abweichung von den allgemeinen Regeln auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Waffengleichheit geboten. Eine Differenzierung ist vielmehr sachgerecht, weil eine Beschrän-kungserklärung des Beklagten weitergehende Folgen hat als ein beschränkter Angriff seitens des Klägers.
Wenn ein Patent infolge beschränkter Verteidigung rechtskräftig teilweise für nichtig erklärt wird, hat der Beklagte grundsätzlich keine Möglichkeit mehr, das Schutzrecht wieder in der erteilten Fassung in Kraft zu setzen. Einem Nich-tigkeitskläger, dessen Antrag auf beschränkte Nichtigerklärung Erfolg hatte, bleibt es hingegen unbenommen, das Patent mit einer neuen Klage in weiterge-hendem Umfang anzugreifen.
II. Das Rechtsmittel der Klägerin ist jedoch als Anschlussberufung zu-lässig.
Mit einer frist- und formgerecht eingelegten Anschlussberufung kann die klagende Partei ihren Angriff gegen das Streitpatent unter Beachtung der durch § 116 und § 117 PatG gezogenen Grenzen erweitern.
Im Streitfall ist die Antragsänderung sachdienlich, weil dadurch eine um-fassende Beilegung des Rechtsstreits erreicht werden kann und die im Hinblick auf Hilfsantrag 1 vorgebrachten Angriffs- und Verteidigungsmittel auch für die Entscheidung über die Berufung der Beklagten relevant sind.
III. Das Streitpatent betrifft ein Bediengerät für Computerspiele.
1. Zum Stand der Technik verweist die Beschreibung auf mehrere Patentanmeldungen und Patente.
Das aus d